Samstag, 13.04.2013, 13h
38.323 Zuschauer (??? Gästefans), CenturyLink Field
Seattle, WA, USA
Am Samstag, ein paar Tage später, holt mich Cameron um 10 Uhr morgens mit seinem Auto ab. Auf Seattles Straßen ist noch nicht viel los, sodass wir schnell in einem der Parkhäuser am CenturyLink Field (davor Qwest Field, 2004-2011; davor Seahawks Stadium, 2002-2004) zum Stehen kommen. Die Parkhausangestellten kennen Cameron schon, grüßen und lassen uns ohne Zahlung durch. Ich helfe ihm dabei, einen Sack mit Fahnenstangen zum Haupthintereingang des Stadions zu schleppen. Dort wartet schon ein weibliches GFC-Mitglied. Sie und Cameron sind heute allein dafür verantwortlich, dass zu Spielbeginn das Gruppenbanner hängt und die Fahnen im Block einsatzbereit sind. Zunächst heißt es jedoch einmal warten. Wir werden nicht durchgelassen. Da mal wieder eine neue Sicherheitsfirma von den Stadionbetreibern angeheuert worden ist, wirken dieses Mal keine persönlichen Bekanntschaften als Türöffner und wir werden, zwar höflich aber dennoch bestimmt, zum Warten aufgefordert. Gut 20 Minuten passiert gar nichts. Immerhin entschuldigt sich der Koordinator der Sicherheitsleute für die Verzögerung. Noch zwei Stunden bis Anpfiff.
Irgendwann taucht dann doch jemand auf, um uns durch die Katakomben zur Supporters-Kurve hinter einem der beiden Tore zu geleiten. Scheinbar hat man uns das nicht alleine zugetraut. In ihren Blöcken sind schon drei VertreterInnen der ECS damit beschäftigt, ihre Banner aufzuhängen und die Kurve spielfertig zu machen. Es gibt keine Begrüßung, kein Händeschütteln. Jede Gruppe bleibt auch schon vor dem Spiel für sich. Nachdem alles vorbereitet und ein paar Bilder gemacht sind, verlassen wir das Stadion wieder, um an einem von der ECS organisierten Marsch vom historischen Ursprung Seattles zum Stadion teilzunehmen. Dieser findet vor jedem Heimspiel statt. Vorher geht es jedoch auf ein paar Biere in einen stadionnahen Pub. Der Marsch ist dann beeindruckender als ich dachte. An die 1.000 Soundersanhänger ziehen laut singend, fahnenschwenkend, doppelhalterhaltend und schaldrehend zum CenturyLink Field. Auf dem Weg gesellen sich immer mehr Fans hinzu.
Im Stadion bin ich dann zunächst etwas überrascht, denn Cameron steht nicht mit den anderen GFC-Mitgliedern im vorher noch vorbereiteten Block rechts hinter dem Tor, sondern hat eine Dauerkarte für die Haupttribüne, wo er die Spiele mit seinem Vater verfolgt. Nun gut. Ich habe mir eine Karte ca. 10 Reihen hinter dem GFC besorgt, mit einen sehr feinen Blick auf die gesamte Fanszene. Noch bevor die Spieler den Platz betreten, machen die ECS, angepeitscht durch einen mit Mikrofon ausgestatteten Vorsänger, direkt hinter dem Tor ordentlich Dampf. Kurz vor Anpfiff gibt es eine saubere Schalparade und dann mit dem Spielbeginn das auch vom Betzenberg bekannte, langsam schneller werdende Einklatschen („Bumm-Bumm-Klatsch“).
Bei Spielbeginn sehe ich ein paar Reihen vor mir noch einige GFC-Fahnen, die geschwenkt werden. Allerdings nur für kurze Zeit. Dann, zu meinem Unverständnis, passiert in diesem Block bis zum Abpfiff gar nichts mehr. Links daneben geht die gut 1.500 bis 2.000 Personen starke ECS ordentlich ab. Trotz eines grottenschlechten, torlosen Kicks wird zwei Halbzeiten hindurch abgegangen. 10-15 große Schwenkfahnen in den Soundersfarben Grün und Blau kommen permanent zum Einsatz. Doppelhalter und Schals vollenden ein wirklich ansehnliches Bild. Es gibt zwei Hüpfeinlagen, an denen sich fast die ganze Kurve beteiligt.
Zur zweiten Halbzeit übernimmt eine junge Frau das Capo-Mikrofon und steht ihrem Vorgänger in nichts nach. Vom Spiel enttäuscht, von der Leistung auf den Rängen jedoch beeindruckt, treffe ich Cameron nach den 90 Minuten wieder im GFC-Block zum Aufräumen. Auf meine Frage nach den Gründen für die Inaktivität seiner Gruppe während des Spiels, antwortet er: „Wir schwenken nicht gerne auf Kommando der ECS. Wir machen unser eigenes Ding. Vielleicht hatten sie heute deshalb keinen Bock“?
Wir lassen den Tag in einer weiteren Bar bei Pizza und Bier ausklingen. Ein weiteres GFC-Mitglied, das sich nach dem Spiel zu uns gesellte, steht irgendwann, ohne sich zu verabschieden auf und verlässt die Bar. Als er nach einer Weile zurückkommt, trägt er ein altes Kaiserslautern-Trikot. „Ist das einzige Trikot, das ich neben meinen Sounders-Trikots habe“. Ein Zufall. Er hat es vor Jahren in einem Second-Hand-Shop am Stadion erstanden. Wir machen ein Bild zusammen und ich gebe ihm ein Bier aus. Die Fankultur in den Vereinigten Staaten mag noch in den Kinderschuhen stecken. In Seattle kommt sie mir dann doch schon sehr vertraut vor.